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Entdecker, Häuptlinge und Ureinwohner

Entdecker, Häuptlinge und Ureinwohner

Es ist eigentlich ein alter Hut – aber „wir“ haben die Welt nicht entdeckt. Der Westen, seine Forschungsreisenden, Entdecker, Anthropologen, Missionare, Unternehmer und Armeen haben den Globus bereist, erkundet, umschifft, kartographiert, eingegrenzt, benannt, bewertet, besetzt, erobert, bekriegt, besiedelt, aufgeteilt und nicht zuletzt ökonomisch ausgebeutet. Das unkritische kollektive Gedächtnis des Westens speicherte das unter der Überschrift „Zeitalter der Entdeckungen“ ab.

Antikoloniale Gedächtnisübung, geschrieben 2014

Die entdeckte Welt und die dort lebenden Menschen existierten Jahrtausende zuvor ohne westliche Kenntnis, hatten ihre je eigene Geschichte, die aber nicht wahrgenommen oder meist an den Rand gedrängt wurde. Den Eintritt in die wirkliche Geschichte erlebten diese Völker angeblich durch die Ankunft der „Weißen“.

Die so geschaffene Bedeutungs-Hierarchie schlug sich im 19. Jhdt. in der scheinbar wissenschaftlich fundierten Rassentheorie nieder, die sich mit dem Sozial-Darwinismus verband und letztlich in der Konstruktion einer weißen „Herrenrasse“ mündete. Berufen, die Welt kulturell zu dominieren und den eigenen ökonomischen Interessen zu unterwerfen. Wer dem nicht folgte oder folgen konnte, war zu schwach und nur Wert, dass er zugrunde ging.

Häufig wird behauptet, diese Sicht der Dinge sei mit der allgemeinen Erklärung der Menschenrechte 1948 durch die UNO endgültig überwunden. Dem ist leider nicht so.

Das sogenannte „Entdecker-Denkmal“ im Hafen der portugiesischen Hauptstadt Lissabon. Portugal war die die erste westliche Kolonialmacht.

Die Entdecker sind unter uns

Unzählige historische Dokumentationen im Fernsehen präsentieren uns immer noch den Westen als Entdecker der Welt. Rassistische und kolonialistische Denke und Strukturen finden sich im Alltag, werden in den Massenmedien gepflegt und vor allem:

Sie entstehen immer wieder neu.

Schlager, Songs, Karneval, Kinder- und Jugendbücher (Karl May), Radio und Fernsehen und auch scheinbar aufgeklärte Presseorgane und das Internet reproduzieren pausenlos rassistische und koloniale Klischees. Die Islamophobie seit 2001 ist nur eine Facette dieser Entwicklung.

Im 19. Jahrhundert begann ein Wettrennen, welche Großmacht sich die wichtigsten Ausgrabungsstätten sichert, um vom Ruhm der Antike zu profitieren. Napoleon ließ seinen Ägypten-Feldzug von einem Heer von Wissenschaftlern begleiten, die alles an sich rissen und notierten.

Artikel aus der ZEIT von Sven Beckert – 5.9.2018

Der große Landraub

Seit Jahrhunderten liefert der arme Süden, was den Norden reich macht: Rohstoffe und billige Arbeitskräfte. Daran hat auch das Ende des Kolonialzeitalters nichts geändert.
Sven Beckert leitet derzeit ein internationales Forschungsprojekt zur 600-jährigen Geschichte der weltweiten Rohstoff­ausbeutung und ihrer Folgen.
Schluss des Artikels: Verbraucher zu bewussteren Entscheidungen zu ermutigen, ist da eine gute Idee. Die Suche nach dem größtmöglichen Profit aber wird es nicht aufhalten. Wir müssen vielmehr verstehen, wie die aktuelle Situation und die 600 Jahre lange Geschichte der Rohstoffgrenzen-Expansion zusammenhängen – und jene Menschen unterstützen, die an weit entfernten Orten das Futter für die europäischen Lebensweisen und Märkte liefern …
… Diese Menschen sind es, die es uns ermöglichen, den Tag mit Bequemlichkeiten beginnen zu können, die uns die jahrhundertelange europäische Expansion rund um die Welt beschert hat. Wir schulden ihnen, mindestens, unsere Aufmerksamkeit.

Museen als Zeugen des Kolonialismus

Viele Museen in den westlichen Hauptstädten verdanken ihre Existenz kolonialer Plünderung. Wenn Volksgrupppen wie die Nama und Herero aus dem Süden Afrikas z.B. die Schädel ihrer ermordeten Verwandten zurückhaben wollen, ist das immer noch ein Problem. Man stelle sich vor, welchen Aufwand und welche Demütigung es für sie bedeutet, dass sie in Berlin antreten sollen, um überhaupt auf ihr Anliegen aufmerksam zu machen.

Das 2020 online im Berliner Stadtschloss eröffnete Humboldt-Forum ist nur die Spitze des Eisberges. Dort wird ein schamloser Eiertanz aufgeführt, um die wertvollen Benin-Bronzen als „Preußischen Kulturbesitz“ – wie die Stiftung heißt – nicht abgeben zu müssen.

Siehe das Buch von Benedicte Savoy und Felwine Sarr „Zurückgeben. Über die Restitution afrikanischer Kulturgüter“ – Mathes & Seitz, Berlin

Einzelne Journalisten versuchen sich dem zu entziehen. Dabei sticht heraus das Buch von Charlotte Wiedemann „Vom Versuch nicht weiß zu schreiben“ (PappyRossa, 2012, Köln):

Ist weiß eine Farbe? Die Farbigen, das sind die anderen. Weiß ist neutral, ein Grundton, voraussetzungslos. So sind wir geprägt … Nicht weiß zu schreiben, das kann folglich nur ein Versuch sein. Es ist der Versuch, einen Blick auf die Welt zu werfen, der sich von der Enge des Eurozentrismus befreit.
Zum weißen Denken gehört nicht zuletzt, wie wir den Begriff der Mobilität für unseren Lebensstil reservieren – und anderen die Mobilität verweigern. Auf dem Titelblatt dieses Buches streift unser Blick eine Frau in einem malischen Dorf; ihr Sohn hat sich auf die gefährliche, klandestine Reise nach Europa gemacht. Sie ist seit Wochen ohne Nachricht.

TERRA NULLIUS – Niemandsland

Der Begriff Niemandsland (lateinisch: terra nullius) bezeichnet ein Gebiet, das niemandem gehört, also

  • staatsrechtlich herrenlos ist, oder
  • von niemandem besiedelt und gepflegt oder bewirtschaftet wird, oder
  • zwischen den Frontlinien eines Krieges liegt.

Im übertragenen Sinn wird damit auch ein besonders unwirtliches Gebiet bezeichnet.

Im 18. Jahrhundert wurde unter anderem vom Schweizer Völkerrechtler Emerich de Vattel daraus abgeleitet, dass unkultiviertes Land, das keiner anerkannten Macht untersteht, niemandem gehört und man schuf damit quasi eine Rechtsgrundlage für die europäischen Mächte, von „primitiven“ Völkern bewohnte Gebiete zu kolonisieren.

aus: WIKIPEDIA – zum Artikel

Indigene, Einheimische, Ureinwohner

Diese Worte für Bevölkerungsgruppen, die irgendwo auf der Welt schon lange leben, sind uns vertraut. Ihnen haftet immer etwas von primitiver Rückständigkeit an, der Blick ist der eines Zoobesuchers. Die sind ja ganz nett, aber so wie die leben, haben die keine Zukunft in unserer Welt. Fortschritt und Wachstum müssen her. Der Subsistenzbauer, der vom Ertrag seiner bescheidenen ein oder zwei Hektar Land ohne viel Handel lebt, gilt als Hinterweltler. Dabei sind es diese zwei Milliarden Kleinbauern auf der Welt, die noch viel größerere Hungerkatastrophen verhindern, als wir sie schon haben.

Der Häuptling und sein Stamm

Die Gesellschaftsstrukturen, die unsere „Entdecker“ auftaten, wurden als urgeschichtliche Stammesstrukturen beschrieben. Dabei waren z.B. die afrikanischen Gesellschaften sehr viel heterogener, weniger hierarchisch und eben ohne einen staatlichen Raumanspruch, der für koloniale Eroberungen Voraussetzung ist. In der Regel griffen sich die Kolonialmächte kooperationsbereite Gruppen heraus, statteten sie mit einem Mandat aus, definierten das gewünschte Territorium und fertig war der Stammeskonflikt. So geschehen etwa in Uganda mit den „Baganda“, die fortan im Namen der Briten alle anderen beherrschen durften.

Kolonialsprache: Aus aller Herren Länder

Das hört man immer noch häufig – speziell bei internationalen Sportereignissen, Olympischen Spielen. Scheinbar ganz multikulturell wird die Sportlergemeinde beschrieben. Dabei stimmt es leider im Kern: Die Länder mit den meisten Teilnehmern sind tatsächlich die Herrenländer – zumindest die ehemaligen, auch wenn sich Machtverschiebungen bereits einstellen.

… aller Herren Länder – Beispiele gefällig?

Heute, 2021 findet man sie immer noch, die unzähligen Fußballer, Pflanzen, Merseburger Bürger, Messer, Tierarten im Mittelrheintal, Sendungen des Deutschlandfunk NOVA, einen Kulturkochtreff und Teilnehmer eines Trailrunning – sie alle kommen „aus aller Herren Länder“.

Die folgende Internet-Recherche fand bereits 2012/2013 statt. Zahllose Fundstellen!


Website der FU-Berlin 2011, man will die globale Vernetzung herausstreichen – Originalzitate:

Aus aller Herren Länder

Zweiter Durchgang der Sommer- und Winteruniversität FUBiS startet am 29. Mai mit 175 Teilnehmern aus 19 Staaten.

Nr. 163/2011 vom 27.05.2011 – Die internationale Sommer- und Winteruniversität „FUBiS“ der Freien Universität Berlin öffnet am Sonntag für Teilnehmer aus 19 Ländern ihre Pforten. Die 175 Studierenden belegen während des sechswöchigen Programms Deutsch- und Fachkurse. Die meisten von ihnen stammen aus den USA.


Nürnberger Stadtanzeiger 2013 – Multikulti-Ankündigung in Kolonialsprech. Originaltext

Genüsse aus aller Herren Länder

Musik, Tanz und Gaumenfreuden im Annapark: Südstadtfest beginnt ab 1. Juli – 29.06. 07:59 Uhr
Südstadt  – Bunter geht’s kaum: Die 31. Auflage des Südstadtfests bringt von Freitag, 1. Juli, bis Sonntag, 3. Juli, wieder Menschen, Vereine und Einrichtungen aus aller Welt im Annapark zusammen.


Pressemeldung Bundespolizei Rosenheim 2011. Eine in sich wirre Meldung. Gerade weil sie nicht aus „Herrenländern“ kommen, sind sie auf der Flucht. – Originaltext:

Illegale stammten aus „aller Herren Länder“

28.8.2011 – Rosenheim/Freilassing – Kräftig zu tun hatte die Bundespolizei am verlängerten Wochenende. Die Beamten schnappten zahlreiche Illegale. Zum Teil wurden diese in Haftanstalten eingeliefert.

Insgesamt nahmen die Fahnder von Samstag bis Montag 18 Personen fest, die unerlaubt eingereist waren oder eine illegale Einreise unterstützt hatten. Die Verhafteten kamen unter anderem aus dem Libanon, dem Kosovo, Afghanistan, Syrien oder Ghana.

Pressemeldung Bundespolizei Rosenheim – © Bundespolizei


2011: Eine Hochschule mit Kultur im Lehrplan macht folgende Ankündigung:

HTWK Leipzig – Hochschule für Technik, Wirtschaft und Kultur Leipzig

Kostbare Stoffe aus aller Herren Länder

03.05.2011 – Seidengewebe des 13. bis 15. Jahrhunderts
Abendvortrag von Babette Küster M.A., Kuratorin Textil am GRASSI-Museum für Angewandte Kunst, Leipzig


2011: Besonders perfide – Frauen aus Herrenländern. Auch noch Frauen mit diesem Spruch zu belästigen und das Ganze mit Integration zu garnieren:

14.10.2011 – 08:25 Uhr – Integration – Internationale Frauengruppe Metzingen trifft sich seit einem Jahr im Klosterhof zu Frühstücksgesprächen und Referaten. Unterstützt von der Paul-Lechler-Stiftung

Frauen aus aller Herren Länder

Von Markus Pfisterer – METZINGEN. Sie stammen aus der Türkei, dem arabischen Sprachraum, Deutschland, Italien, Russland, Pakistan. Alle zwei Wochen sind sie einfach Frauen. Die von ihrem Wehenschmerz erzählen, wenn sie ihr Baby zur Welt bringen, und von ihrem großen Glück, wenn es da ist.


Selbst der Kleiderbügel bleibt von den Herrenländern nicht verschont:

18. Juni 2011 | Joachim Baier, dpa

Museum zeigt Kleiderbügel aus aller Herren Länder

Dem Kleiderbügel setzt ein Heimatmuseum in Wald-Michelbach mit einer großen Ausstellung ein Denkmal

WALD-MICHELBACH. Hans-Peter Sieben, Mitarbeiter des örtlichen Heimatmuseums, steht in Wald-Michelbach im Heimatmuseum in einem Ausstellungsraum und hält einen originell verzierten Kleiderbügel in den Händen. Das Museum beherbergt ein kaum zu überblickendes Arsenal verschiedener Exemplare. Das älteste Ausstellungsstück aus dem Jahr 1830 stammt aus Belgien.


Heinz-Rudolf Kunze dichtete vor langen Jahren bereits,
dass „Herrenländer“ sich auf „Menschenschänder“ reimt:
Winde werden rauher
Wellen schäumen Wut
Nur ums nackte Leben
Nicht um Hab und Gut
Bleiche Ausgesetzte
Klammern sich ans Boot
Draußen treiben Hände
Ab in höchster Not
Du wirst nie zuhause sein
Wenn du keinen Gast
Keine Freunde hast
Dir fällt nie der Zauber ein
Wenn du nicht verstehst
Dass du untergehst wie alle Menschenschänder
In aller Herren Länder
Draußen vor der Festung
Bis zum Horizont
Lagern sie und warten
Näher rückt die Front
Grollende Kanonen
Angst in ihrem Blick
Hunger reckt die Arme
Nirgends geht’s zurück
Entdecker, Häuptlinge und Ureinwohner
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