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Versicherungskonzerne klagen gegen Argentinien und Bolivien wegen entgangener Profite

Versicherungskonzerne klagen gegen Argentinien und Bolivien wegen entgangener Profite

Protest-Erklärung von Entwicklungsexperten gegen Versicherungskonzerne, die Argentinien und Bolivien vor dem Schiedsgericht der Weltbank verklagt haben.

Nobelpreisträger Joseph Stiglitz, Ex-ILO-Generaldirektor Juan Somavia, der Präsident des UN-Netzwerks für Nachhaltige Entwicklungslösungen (SDSN) Jeffrey Sachs, der Ex-Untergeneralsekretär der UN José Antonio Ocampo und über 100 weitere hochrangige Entwicklungsexpert:innen haben eine Erklärung herausgebracht, in der sie gegen Versicherungskonzerne protestieren, die Argentinien und Bolivien vor dem Schiedsgericht der Weltbank verklagt haben.

Hintergrund der Verfahren ist, dass die beiden Länder verfehlte Entscheidungen zur Privatisierung ihrer Pensionssysteme aus der Vergangenheit rückgängig gemacht haben. Wenn Argentinien und Bolivien vor dem International Centre for Settlement of Investment Disputes (ICSID; etwa: Internationalen Zentrum für die Lösung von Investitionsstreitfällen) verlieren, würde dies bedeuten, dass verarmte Bürger und Rentner wohlhabende Finanzkonzerne „entschädigen“ müssten. Der Offene Brief hat folgenden Wortlaut:

Offener Brief der Expert:innen

„Wir Unterzeichner:innen – Ökonomen, Sozialsystem- und Entwicklungsexperten – verurteilen und opponieren stark gegen die Verfahren:

  • Metlife Insurance vs. Argentinien,
  • BBVA Bank vs. Bolivien,
  • NN Insurance International vs. Argentinien.

Die privaten Versicherungskonzerne verklagen Argentinien wegen des Verlusts potentieller Profite im Ergebnis der Rückgängigmachung der Privatisierung von Pensionsprogrammen. Die Finanzkonzerne begannen die Verwaltung der Pensionen in Argentinien 1993 und in Bolivien 1996. Argentinien und Bolivien sind unter den nur 30 Ländern (von weltweit 192), die mit der Privatisierung ihrer Pensionssysteme experimentiert haben. Heute macht die Mehrheit dieser Länder die Privatisierung ihrer Pensionen rückgängig. Entsprechend sind die Regierung von Argentinien 2008 und die von Bolivien 2009 zu öffentlichen Pensionssystemen zurückgekehrt.

Bei der Pensionspolitik geht es nicht um die Sicherung Profiten für private Versicherungskonzerne. Pensionspolitik ist vielmehr dazu da, Einkommenssicherheit im hohen Alter bereitzustellen bzw. sicherzustellen, dass ältere Personen sich mit angemessenen Pensionen bzw. Renten zur Ruhe setzen können.

 Die Fehlschläge der Rentenprivatisierung

Es ist die Pflicht des Regierungen Argentiniens und Boliviens, auf die beste Weise für das Wohlergehen ihrer Bürger*innen zu sorgen. 2008/09 hieß das, ein öffentliches Pensionssystem wiederherzustellen. Sie waren damit nicht allein; andere Regierung machten die Rentenprivatisierung ebenfalls rückgängig, weil die Unangemessenheit und Fehlschläge im privaten Pensionssystem offensichtlich waren:

  • Die Versicherungsraten nahmen unter den privaten Pensionssystemen ab oder stagnierten. In Argentinien fiel die Rate bei Männern von 46% (1993, vor der Reform) auf 35% (2002) und bei Frauen auf nur 31%; in Bolivien stagnierten sie.
  • Die Pensionsleistungen verschlechterten sich, so dass private Pensionen sehr unpopulär wurden. In Bolivien fiel der Pensionssatz auf 20% des durchschnittlichen Einkommens während der Lebensarbeitszeit; dies ist weit weniger als in den ILO-Standards vorgesehen.
  • Angesichts der niedrigen Pensionen verschlechterte sich die Altersarmut.
  • Geschlechter- und Einkommensungleichheit nahmen zu. In Bolivien fiel der Anteil der älteren Frauen, die eine beitragsbasierte Pension erhielten, im Ergebnis der Privatisierung von 23,7% 1995 auf 12,8% 2007.
  • Die privaten Systeme waren teuer: Die hohen Transitionskosten der Privatisierung führten zu hohem fiskalischen Druck. In Argentinien sahen anfängliche Schätzungen bei 0,2% des BIP; später erhöhte die Weltbank die Kostenschätzung auf 3,6% des BIP – 18mal so hoch wie die ursprüngliche Schätzung. In Bolivien lagen die aktuellen Transitionskosten 2,5mal über den ursprünglichen Projektionen.
  • Die privaten Pensionsverwaltern berechneten hohe Verwaltungskosten und erzielten exzessive Profite über diese außerordentlichen Verwaltungsgebühren. In Argentinien stiegen diese Verwaltungskosten sprunghaft von 6,6% 1990 vor der Privatisierung auf 50,8% 2002; in Bolivien von 8,6% 1992 auf 18,1% 2002 nach der Privatisierung.
  • Finanzielle und demografische Risiken wurden auf Individuen übertragen; Pensionäre/Rentner mussten Leistungsverluste hinnehmen, wenn diese Risiken virulent wurden, etwa während der globalen Finanzkrise.
  • Der soziale Dialog verschlechterte sich ernsthaft.

Eine Warnung für andere Länder

Die Regierungen von Argentinien und Bolivien trafen legitime Entscheidungen im Interesse, die – als Teil der Souveränität eines Landes – respektiert werden müssen. Es ist verwerflich, dass die Investitionsvertragsgerichtsbarkeit Konzernen gestattet, Streitschlichtungsverfahren gegen Regierungen – und letztlich gegen Menschen – anzustrengen, damit diese ihre Profitschöpfung fortsetzen können.

Auch opponieren wir gegen den Mangel an Prozesstransparenz beim International Centre for Settlement of Investment Disputes (ICSID) der Weltbank. Konzerne mögen argumentieren, dass es einen prozeduralen Schutz geben muss, aber diese Verfahren betreffen das Leben von Millionen Argentiniern und Bolivianern. Sie müssen deshalb offen und transparent sein.

Wenn Argentinien und Bolivien in den Streitfällen unterliegen, bedeutet das, dass ihre Bürger – einfache Menschen, die schon unter den wegen der Privatisierung niedrigen Pensionen leiden mussten – Millionen von Dollars an wohlhabende Finanzkonzerne zahlen müssen.

Diese Rechtsfälle sollten der Mehrheit der Länder der Welt, die ihre Pensionssysteme nicht privatisiert haben, die sich aber dem Druck dahin ausgesetzt sehen, als Warnung dienen: Zu dem Erleiden niedriger Pensionen, zu mehr Altersarmut und hohen fiskalischen Kosten kommen jetzt obendrein noch die Klagen privater Versicherungsverwalter. Wir hoffen, dass andere Länder durch diese Konzernangriffe auf das Recht der Regierungen, eine Politik der Förderung zum Wohlergehen ihrer Bürger zu betreiben, von Pensionsprivatisierungen abgehalten werden – Angriffe, die im Streben nach Profit und auf Kosten verarmter Bürger:innen und Pensionäre unternommen werden.“

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