Rösters Blick durch die Kaffeebrille – die etwas andere Kaffeegeschichte
Alles durch die Kaffeebrille zu betrachten, bedeutet nicht, damit auch alles erklären zu können. Dennoch erscheinen einige Dinge in neuem Licht, und die aktuelle Werbung und die Berichterstattung zu Kaffee in den Medien widmet sich nur allzu häufig vordergründigem "Styles" und "Trends" im Sinne einer hippen Verbrauchskultur.
Ein Dementi vorweg: Kaffee ist nicht das zweitwichtigstes Handelsgut nach Erdöl wie es in unzähligen Veröffentlichungen über Kaffee heißt. Der Wert des Rohkaffees als Welthandelsgut rangiert weit hinter Öl, Erz, Kupfer und Aluminium. Vergleicht man ihn mit anderen Agrarprodukten, dann rangiert Kaffee hinter Soja, Weizen, Palmöl, Reis und Zucker. Siehe auch hier ausführlich.
Dennoch gilt, was des Kaffeehistoriker Steven Topik (USA, University of California/Irvine) sagt:
„Kaffee als Ware ist einer ernsthaften Betrachtung wert, weil er über Jahrhunderte hinweg seinen zentralen Platz in der Weltökonomie und im Leben von Millionen Menschen nachhaltig bewahrt hat … im Grunde haben ihn immer die armen Länder für die reichen produziert.“
Als ernsthaftes Thema im Wirtschaftsteil der Zeitungen ist er völlig unterbelichtet. Ausführlich berichtet und kommentiert wird hingegen der jeweils aktuellste Hype um neue Kaffee-Kreationen, den neuesten „Wave“, „Cold-Brew“, die „Chemex“-Brühmethode und dergleichen. Der „Profi-Barista“ ist scheinbar der King of Coffee.
Da lohnt ein Blick hinter die Kulissen.
Arabisch-persische Kaffeehäuser als Orte der Aufklärung
Kaffee stammt aus Afrika (Äthiopien), erreichte Europa und den Westen aus dem islamisch geprägten arabisch-persischen Raum, wo er sich als Getränk erst gegen Widerstände etabliert hatte. Als geschichtlicher Indikator west-östlichen Kulturaustausches bietet Kaffee deshalb Gelegenheit, einseitige Sichtweisen auf den Islam zu korrigieren und den Beitrag des „Orients“ zum kulturellen Welterbe neu einzuordnen. Diese Betrachtungsweise folgt den Autoren Trojanow/Hoskoté in ihrem Buch „Kampfabsage – Kulturen bekämpfen sich nicht, Kulturen fließen zusammen“:
„Tatsächlich bereiteten sie (die arabischen Denker) den Weg für die Trennung von Kirche und Staat und trugen zur Entstehung des freiheitlichen und säkularen öffentlichen Raumes bei, den wir heute für selbstverständlich betrachten und als Triumph der Aufklärung in Ehren halten.“ (Seite 115)
Diesen Raum fand man im 15. und 16. Jhdt. bereits in den arabischen Kaffeehäusern, was die damaligen europäischen Orientreisenden, die zunächst mit einem durchaus offenen Blick für das „Fremde“ unterwegs waren, mit Verwunderung zur Kenntnis nehmen mussten.
Die Kaffeebohne hat die Welt erobert
- Kaffee ist nach Wasser das Weltgetränk Nummer 1 – vor Bier, Tee und Mineralwasser.
- Er ist wichtiges Exportprodukt der Länder des Südens und ernährt über 100 Millionen Menschen.
- USA, Brasilien und Deutschland sind die Hauptverbrauchsländer.
- In über 50 Ländern und Regionen des Südens nördlich und südlich des Äquators wird Kaffee angebaut.
- Die Hauptsorten sind Arabica (Hochland, 60%) und Robusta (Tiefland, 40%).
Motor der Globalisierung
Der Kaffeehandel war ein Motor der Globalisierung, wie andere Kolonialwaren auch! Entgegen verbreiteter Sichtweise hat die Globalisierung aber eine lange Geschichte seit 1500, beschleunigte allerdings ihr Tempo zum Ende des 20. Jahrhunderts – mit Verschärfungen für Hunger, Armut und Umweltzerstörung.
1973 begannen die neoliberalen „Chicago-Boys“ (Milton Friedmann) bezeichnenderweise im Windschatten der Pinochet-Diktatur in Chile ihr Wirtschaftsprogramm umzusetzen. 1990 markiert der „Washington Consensus“ eine neue Stufe der Vergewaltigung der Weltwirtschaft durch die führenden Industrienationen mit Hilfe der Weltbank und des Internationalen Währungsfonds im Sinne des Neoliberalismus. Die sogenannten „Struktur-Anpassungs-Programme“ des Internationalen Währungsfonds krempelten die Wirtschaft der betroffenen Länder tiefgreifend um und schufen einen globalen Freihandel nach den Vorgaben und zum Vorteil der entwickelten kapitalistischen Länder.
FairTrade – der etwas andere Umgang mit dem Erbe des Kolonialismus
Parallel hierzu beginnt die weltweite FairTrade-Bewegung – zunächst mit Kaffee als Hauptprodukt – alternativen Welthandel zu praktizieren. Im Grunde wird dabei versucht, die Welthandels-Strukturen bei einzelnen Exportprodukten aus ehemaligen Kolonien zugunsten der Produzenten zu verbessern. Diese Strukturen sind aber eingebettet in die Wettbewerbsdynamik des globalen kapitalistischen Systems. Das lässt sich nicht mal eben mit der „Abstimmung an der Ladenkasse“ verändern.
Trotzdem zeigt der FaireHandel, dass die Produzenten durch Zusammenschluss auf meist genossenschaftlicher Basis enorme Fortschritte erzielen können. Produzentengruppen verändern dabei auch ihre Stellung innerhalb des jeweiligen Landes, prägen ihre Umgebung und entwickeln häufig politische Schlagkraft. Sie werden zu einem Faktor des gesellschaftlichen Fortschritts im Land. In diesem Sinne kann man den FairenHandel auch definieren als den etwas anderen Umgang mit dem Erbe des Kolonialismus.
Kiboko – Sklavenfrucht
Das Erbe des europäischen und deutschen Kolonialismus, besonders in Afrika, fließt symbolisch in dem Begriff Kiboko (gesprochen Tschiboko) zusammen. Kiboko heißt heute der getrocknete Rohkaffee in Ostafrika. Kiboko heißt aber auch die schreckliche Nilpferdpeitsche, mit der man die »Schwarzen« auf die Kaffee-Plantagen trieb. Kiboko heißt Nilpferd auf Swaheli. So übertrug sich der Name der Peitsche auf das Produkt, das unter ihren Hieben in Zwangsarbeit produziert wurde.
Und Kiboko heißen heute viele afrikanische Touristenagenturen, die den Weißen, den Muzungus, ihr Land zeigen, weil die vielen Hippos (Nilpferde) so interessant sind. Man kann mit Tourismus eben mehr Geld verdienen als mit dem Kaffee, den sich diese Touristen zu Hause in Europa und USA so »trendy« gönnen.
Der Tourismus in die ehemaligen Kolonialgebiete gilt als entscheidendes Entwicklungsziel sowohl bei der Formulierung entwicklungspolitischer Ziele im Westen als auch in den betreffenden Ländern. Die Auswirkungen vor Ort sind dabei höchst zweifelhaft und Tourismus als globales Phänomen der Mobilitätskultur des reichen Nordens gleicht häufig einer erneuten kolonialen Landnahme. Konzepte der „unberührten Natur“ und traumhafter Landschaften materialiseren sich in Nationalparks und „Schutzgebieten“ die mit Klimapolitik und Nachhaltigkeit begründet werden aber Bedürfnisse einheimischer Bevölkerungsgruppen direkt negieren. Das wird an anderer Stelle in diesem Blog noch ausführlich behandelt.
Coffea „Arabica“? – Koloniale Sichtweisen
Allein schon die botanische Bezeichnung „coffea arabica“ weist auf koloniale Praktiken und eurozentrische Sicht hin. Die europäischen Orientreisenden des 15., 16. und 17. Jahrhunderts lernten Kaffee als Getränk im arabischen und persischen Kulturkreis kennen. Der Ursprung der Bohne und des Getränks ist allerdings Äthiopien. Das ist bekanntlich ein afrikanisches Land mit uralter Geschichte.
Die traditionelle äthiopische Kaffeekanne ist gleichsam Symbol dafür und ziert dort häufig die Dachspitze der Rundhütten der Kaffeefarmer.
Eine korrekte Bezeichnung müsste also lauten: „coffea africana“ oder „coffea äthiopica“. Als Carl von Linné im 18. Jhdt. seine binomische Nomenklatur der biologischen Namen entwickelte und dabei den Namen „coffea arabica“ vergab (1753), orientierte er sich am Zeitgeist und nicht an der damals sehr wohl bekannten geografischen Herkunft der Bohne aus Abessinien. Ein unerforschtes Hochland in Nordostafrika als namensgebend für Kaffee zu betrachten, kam wohl nicht in Frage.
So haben sich koloniale Sichtweisen in gängige Bezeichnungen eingeschrieben. Linné katalogisierte später dann auch das Tierreich und schuf Kategorien für Menschenrassen, bei denen er den weißen Europäer als die Krone der Schöpfung etablierte. Er formulierte damit auch Grundlagen für spätere Rassentheorien.
Das hat sogar Eingang in das deutsche Grundgesetz gefunden. Dass niemand wegen seiner „Rasse“ benachteiligt werden soll, setzt voraus, dass es menschliche Rassen gibt. „Rassismus“ hingegen gibt es sehr wohl. Verschiedene Initiativen verlangen deshalb eine entsprechende Änderung der Grundgesetz-Formulierung.
Kaffee als Teil einer Weltgeschichte
Die gebräuchliche historische Periodisierung in Altertum, Mittelalter und Neuzeit bzw. Moderne wird als eurozentristische Sicht aller Geschichte übergestülpt. Eine Weltgeschichte kann so nicht geschrieben werden. Die heute immer noch anzutreffende Sichtweise datiert den Beginn der eigentlichen Geschichte für die außereuropäische Welt mit dem Datum der „Entdeckung“ durch irgendeinen europäischen, westlichen Reisenden, Seefahrer oder Eroberer. Afrika erscheint demnach geschichtslos und seinen Bewohnern wird der Status von Kindern zugewiesen, die es zu domestizieren gelte.
Der „Orient“ und seine islamisch geprägte Kultur waren weltgeschichtlich wichtig auf vielen Wissensgebieten und bei der Bewahrung und Weiterentwicklung des griechisch-antiken Erbes. Europa lernte die Antike durch arabische Übersetzungen kennen und jahrhundertelang war Arabisch die Sprache der Wissenschaft schlechthin. Beispielhaft steht hier der Mediziner Avicenna, der im 11. Jhdt. das bis ins 17. Jhdt. maßgebliche medizinische Lehrbuch verfasste und einer der ersten ist, der Kaffee als Medizin erwähnte. Navid Kermani schreibt hierzu:
„Der Mythos, die westliche Kultur sei gleichsam jungfräulich aus dem Geist der Antike geboren, hat seinen Ursprung in der Renaissance; wesentlich formiert hat er sich im 19. Jahrhundert, das den Orient als das schlechthin Andere der eigenen Kultur festschrieb.“
Der Blick auf die Kultur in den frühen Kaffeehäusern des Orients weist auf den Islam als „Haus der Weisheit“, bei dem Wissenschaft, Welterkundung und Bildung hoch im Kurs standen.
Interessante Neujustierungen in dieser Hinsicht versucht Jürgen Osterhammel mit seiner Globalgeschichte „Geschichte der Welt“, die auf 5 monumentale Bände angelegt ist und von weltweit mehreren Autoren editiert wird. Im Band V 1870–1945 (Beck 2012) ist auch ein großes Kapitel über „Warenketten in einer globalen Welt“ enthalten, das u.a. von dem amerikanischen Kaffeehistoriker Steven C. Topik verfasst wurde. Dieser Teil ist mittlerweile auch als Einzelveröffentlichung erhältlich. Topik arbeitet an einer „World History of Coffee“ und man darf erwarten, dass es zum neuen Standardwerk in diesem Bereich werden wird.
Kaffeegeschichte ist ein kulturhistorisches Gesamtkunstwerk
Der Kaffeehistoriker Steven Topik von der University of California, Irvine, schreibt:
„Warum gerade Kaffee? Man könnte meinen, dass die theoretische Betrachtung der Weltgeschichte durch die Kaffeebrille den Gegenstand eher verdunkelt – aber das ist kein ,Kaffee-Fetischismus‘ oder gar der Versuch trendy zu sein im Sinne einer ,Starbucks-Revolution‘. Kaffee als Ware ist einer ernsthaften Betrachtung wert, weil er über Jahrhunderte hinweg seinen zentralen Platz in der Weltökonomie und im Leben von Millionen Menschen nachhaltig bewahrt hat … im Grunde haben ihn immer die armen Länder für die reichen produziert.“ (Topik/Clarence-Smith: The Global Coffee Economy in Africa, Asia and Latin America, 1500–1989, Cambrige University Press, New York 2003, Seite 2, eigene Übersetzung)
Große Themen kennzeichnen den Weg des Kaffees:
Ökonomie, Ökologie, Politik, Kultur und als „soziales Getränk“ im Alltag:
- Kaffee ist Teil von Kolonialismus und Imperialismus.
- Er ist verwoben mit Sklaverei und Sklavenhandel.
- Er steht für frühe Globalisierung und Agrobusiness.
- Kaffeehäuser waren und sind neue „öffentliche Orte“ in Orient und Okzident.
- Kaffee ist Symbol für Opposition, Kritik und Revolution, weshalb er häufig verboten wurde.
- Kaffee steht für Kommunikation und Geselligkeit.
- Er ist „Cash-Crop“ für die Exportbilanz von über 50 Anbau-Ländern. Allerdings ist er nicht, wie häufig behauptet, das zweitwichtigste Handelsgut nach Erdöl.
- Kaffee ist Teil von Börsenspekulation mit Agrargütern, von Warentermin- und Derivatehandel.
- Er markiert das Elend der Kaffeebauern und damit Formen des Neokolonialismus.
- Er war und ist das Leitprodukt des FairenHandels.
- Klimaveränderungen bedrohen den Kaffeeanbau – Wildkaffee wird seit 2018 auf der Internationalen Roten Liste als „gefährdet“ eingestuft. Umgekehrt bedroht Kaffeeanbau aber auch das Weltklima durch Erschließung neuer Felder und Plantagen mittels Waldrodung.
Das Getränk
Kaffee war als Getränk stets Begleiter aller Denker, Revoluzzer und Widerständigen und Oppositionellen. Die Kaffeehäuser galten immer als die „Pflanzstätten des Aufruhrs“. William Ukers 1935 in seinem Klassiker „All about Coffee“ schreibt:
„Wo auch immer er eingeführt wurde, bedeutet er Revolution. Er war das radikalste Getränk der Welt, weil seine Funktion stets darin bestand, die Menschen zum Denken zu bewegen. Und wenn die Menschen anfingen zu denken, wurden sie den Tyrannen gefährlich.“
Seit dem 16. Jhdt. nahm der Fortschritt immer erst im Kopf Gestalt an. Dabei war das Kaffeehaus ein unverzichtbarer Ort und Kaffee war die Geistesnahrung. So kann die Kultur des Kaffeetrinkens auch als kleiner Teil der Sozial- und Kulturgeschichte der Moderne gelesen werden.
Vom Verbot zum Weltgetränk
Kaffee war in Europa nicht von Anfang an willkommen. Genau wie bei seiner Eroberung der islamischen Welt wurden religiöse, weltanschauliche und ökonomische Gründe gegen ihn ins Feld geführt.
- Kaffeeverbote im Islam des 16. und 17. Jahrhunderts
- Unterdrückung der Kaffeeschenken als „Seminaris of Insurrection“ unter Charles II. in England (17. Jhdt.)
- Umfassender staatlicher Spitzeleinsatz und Schließung Pariser Cafés vor und nach der Revolution (18. Jhdt.)
- Kaffeeverbote unter Friedrich dem Großen und in anderen deutschen Landen und im übrigen Europa (18. Jhdt.)
Trotzdem eroberten sich der Kaffee und seine Häuser einen festen Platz im Alltag weltweit.
Das Café als Ort neuer bürgerlicher Öffentlichkeit und Kommunikation findet häufig Erwähnung in der Arbeit von Jürgen Habermas „Strukturwandel der Öffentlichkeit“.
Orient und Okzident – Kaffee ein Migrationsgeschenk
Beim Blick auf Orient und Okzident durch die Kaffeebrille ergeben sich recht interessante Einblicke zur jeweiligen Kulturgeschichte, zur allzuoft beschränkten europäischen Sicht auf die Welt, zum kulturellen Grundrauschen Europas, sich durch Dämonisierung und Abgrenzung zum „Orient“ und zum „Fremden“ schlechthin zu definieren. Kaffee kreuzt Kultur, Geschichte, Politik und Ökonomie seit dem 15. Jahrhundert als das Getränk der Moderne. Die Kaffeeschenken wurden weltweit häufig von Migranten erstmals gegründet und betrieben. Kaffee ist ein Migrationsgeschenk.
Goethe meinte auch den Kaffee, als er schrieb: „Herrlich ist der Orient / übers Mittelmmeer gedrungen …“ und die Brüder Grimm: „Er [der Kaffee] war das letzte große Geschenk des Orients an den Okzident“. Die Zeiten haben sich geändert! Heute wird das, was übers Mittelmeer dringt, weniger herrlich wahrgenommen. Vor allem nicht als Geschenk, sondern als eine Bedrohung, der man mit den militärischen Mitteln einer EU-Grenzagentur FRONTEX entgegentritt.
Der türkische Literaturnobelpreisträger Orhan Pamuk in einem Interview:
„Habermas sagt, der öffentliche Raum ist der Ort, wo Politik anfängt.“ So ein Ort seien die türkischen Kaffeehäuser gewesen, weshalb er in dem Roman ‚Rot ist mein Name‘ auch über die Kaffeehauskultur in Istanbul schreibe. Die Diskussionen über Politik in den Kaffeehäusern sollten absurderweise mit dem Argument unterbunden werden, Kaffee sei ungesund.
Gutenbergs Druck-Revolution erlebte durch die Kaffee-Lesestuben und die dort kostenlose Zeitungsauslage gesellschaftliche Wirkung. Kaffeehäuser waren Redaktionsstuben, Wissenschaftsclubs, Kontor der Kaufleute. Börsen sind daraus entstanden und Versicherungskonzerne, Revolutionen wurden in ihren Hinterstuben vorbereitet und davor begonnen.
Vor dem Café de Fois in Paris rief Camille Desmoulins 1789 die französische Revolution aus: „Zu den Waffeen, Brüder, zu den Waffen!“ Später wurde Kaffee das „Schmiermittel“ (Hygieniker Pettenkofer) der Industrialisierung in den Körpern der Arbeiter und „Nahrungsvortäuscher“ (H.E. Jacob) für hungernde Handwerker.
Koffein als „Umweltmarker“
Die Tatsache des weltweiten dauerhaften Kaffeekonsums wird mittlerweile in der Umweltwissenschaft genutzt. Koffein dient als ‚Marker‘ für menschliche Abwässer in Fließgewässern. Bei der historischen Würdigung des Kaffees als Quelle dieses Koffeins stellt der Umweltwissenschaftler Prof. Dr. Michael Matthies folgende steile These auf:
„Die Brauchbarkeit eines Markers hängt auch von seinem kontinuierlichen Gebrauch ab. Der Blick in die Vergangenheit zeigt, dass eine Gesellschaft, die einmal koffeinhaltigen Lebensmitteln exponiert wurde, diesen auch nicht mehr entsagt, sie sind also mehr als eine Modeerscheinung. Versuche der Prohibition (Verbot) scheiterten. Für die kostengünstige Beschaffung von Kaffee wurde sogar das eigene Leben aufs Spiel gesetzt. Dies wird mit Beispielen belegt.“
(Prof. Dr. Michael Matthies: Analyse von Koffein als Abwassermarker in Fließgewässern, Universität Osnabrück, Institut für Umweltsystemforschung, Barbarastr. 12)
Er begründet dies u.a. mit den Kaffeeschmuggel an der deutsch-belgischen Grenze nach dem 2. Weltkrieg, der bis zu 50 Tote gekostet haben soll (der sogenannte deutsch-belgische Kaffeekrieg).
Kaffeesteuer und Monopolisierung
Die dem Schmuggel zugrunde liegende westdeutsche Kaffeesteuer wird in Stufen bis 1953 drastisch gesenkt, worauf ein steiler Anstieg des Konsums einsetzt, der jedoch bald darauf nicht mehr von kleineren Röstereien, sondern von Kaffeemultis wie JDE (Jacobs), Tchibo, Nestle usw. befriedigt wird. Deutschland kassiert ca. 1 Milliarde € Kaffeesteuer jährlich.
Die 10 Global-Player-Röster decken 50% des Weltmarktes ab.
Der globale Umsatz mit Kaffee erreichte 2019 den gigantischen Wert von 380 Milliarden Dollar (inkl. des gesamten Außer-Haus-Absatzes, also Coffee-to-Go, Coffeeshops, Bäckereien, Restaurants, Tankstellen – Quelle STATISTA).
Der Sektor des Rohkaffeehandels ist Teil der finanzgetriebenen Rohstoffspekulation, die die Blue-Chip-Blase ablöste (beginnend ca. 2004). Insofern könnte man die Kaffeekrise 2001–2003 und die Weltnahrungsmittel-Krise 2008 als Vorboten des allgemeinen Finanzcrashs 2008/09 einordnen.
Kaffee ist Kommunikation
Kaffee ist so selbstverständlich zum Synomyn für Kommunikation geworden, dass heute niemand mehr überlegt, wie man das „Internet-Café“ anders nennen könnte. Die erste Webcam im Internet zeigte den Füllstand einer Kaffeekannee (Uni Cambrige 1991).
Die Software-Firma Java verwendet eine dampfende Kaffeetase als Logo. Java war der allgemeine Name für Kaffee zu Zeiten, als die indonesische Insel Hauptkaffee-Lieferant war. Die Software-Bestandteile von Java heißen konsequenterweise „beans“.
Mit der Frage „Kommst du noch auf einen Kaffee mit hoch?“ begannen viele Paarbeziehungen.
Das vielleicht häufigste Stichwort bei einer Google-Suche in Verbindung mit Kaffee ist „coffee-break“. Denn eine Unterbrechung auf der Arbeit oder bei einer Konferenz ist nicht einfach eine Pause, sondern eben eine „Kaffeepause“.